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„Alles hängt mit allem zusammen!“

Im Hamburger Abendblatt vom 05.10.2022 lasen wir: „Hamburg. Eines der größten Verkehrsprojekte des Landes sorgt für Streit im Norden. Es geht um den Ausbau der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover, einer der wichtigsten Schienenverbindungen der Republik. In der Hansestadt wünscht man sich einen kompletten Neubau der Strecke entlang der A7, um die Fahrtzeit nach Hannover um rund 15 Minuten auf knapp eine Stunde reduzieren und, wie man glaubt, die Kapazitäten für Personen- und Güterverkehr deutlich ausbauen zu können. In Niedersachsen wird der Neubau hingegen vehement abgelehnt. Dort plädiert man für einen Ausbau der bestehenden Strecke über Lüneburg, Uelzen und Celle – und erhebt schwere Vorwürfe in Richtung des Nachbarn im Norden.“
 

„Gebaut wird, was Hamburg will. Wenn ein paar Leute protestieren, ist das egal. Wir arbeiten für die Hamburger Industrie und Wirtschaft“ wird ein Hamburger Staatsrat zitiert, was dieser sofort als „frei erfunden“ dementiert. Angeblich spontan Gesagtes wird manchmal richtiggestellt, das macht der Presse- und Informationsstab, und dessen Interpretation, was gesagt oder zumindest gemeint war, lautete: „Hamburg hat großes Interesse an einer leistungsfähigen Schienenanbindung des Hamburger Hafens und begrüßt das Vorhaben des Bundes und der DB, den Übergang zum „Deutschlandtakt 2030“ auch mit weiteren Infrastrukturmaßnahmen zu erreichen.“
 

Soweit die politische Folklore, wenden wir uns nun den Fakten zu: Die zunehmende Verschlickung der Elbe behindert den Anlauf großer Containerschiffe und entwickelt sich zum ernsten Standortnachteil der Hamburger Hafenwirtschaft. Im Containerumschlags spielt Hamburg in der Rotterdam- und Antwerpen-Liga längst nicht mehr mit, hinzu kommt Konkurrenz durch den tideunabhängigen Tiefwasserhafen Jade-Weser-Port Wilhelmshaven (CTW). Ihn können große aus Übersee kommende Containerschiffe – anders als Hamburg – vollbeladen, schneller und damit auch umweltfreundlicher anlaufen (siehe Abbildung). Zwar wurde an eine Bahnanbindung nach Oldenburg ursprünglich nicht gedacht, aber auch diese hat die DB Netze in 2022 fertiggestellt, und HAPAG-Lloyd übernahm 2021 einen Anteil von 30% am CTW. Mehr als kurios ist, dass auch Hamburg 13,9% von HAPAG-Lloyd gehören und die Hansestadt nun mit sich selbst konkurriert. Das alles verstimmt die Hamburger, waren sie doch einst neben Niedersachsen und Bremen am CTW beteiligt, stiegen jedoch 2011 aus, um stattdessen zugunsten eigener Interessen die Elbe für die Großschifffahrt weiter auszubaggern. Jetzt ist damit das Ende erreicht, denn je heftiger gebaggert wird, desto schneller schickt die Elbe den Schlick nach Hamburg zurück.

 

Inzwischen lässt die zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) keine Absicht zum Tieferbaggern mehr erkennen, ohnehin fehlen Hamburg geeignete Plätze zum Verklappen des gebaggerten Schlickes, 2022 waren hierfür Kapazitäten von rund 40 Millionen Tonnen geplant. Und für die Bereiche, in denen in der Deutschen Bucht noch verklappt werden könnte, wäre die Zustimmung von Schleswig-Holstein oder Niedersachsen erforderlich. Trotz guter Zahlungen durch Hamburg lehnen sie dies aber ab, wobei Niedersachsen damit auch eigene Interessen am Jade-Weser-Port im Auge hat. BUND und NABU erwägen weitere Klagen gegen die Verklappung von Schlick in der Elbmündung, nachdem eine frühere Klage aus formalen Gründen abgewiesen wurde. Und die für den sicheren Anlauf der Schiffe nach Hamburg mitverantwortlichen Lotsen sehen ihre Tätigkeit indes als „Slalomlauf zwischen Sandbänken“.
 

Die Situation ist für Hamburg höchst unerfreulich, die Töne werden rauer, zerstreiten den rot-grünen Senat, und der Schlick speist eine veritable politische Schlammschlacht mit absehbar ungutem Ende.
 

Zurück zum Staatsrat-Zitat oben. Begründet Hamburg eine Neubaustrecke Hamburg-Hannover mit der Zukunft Hamburgs und seiner Hafenwirtschaft, ignoriert dies längst erkennbare Entwicklungen:
 

•   Wachsender Seegüterverkehr? Höchst unwahrscheinlich, alle bisherigen Prognosen haben sich als falsch erwiesen. Ob der Jade-Weser-Port zukünftig hier noch eine große Rolle spielt, sei dahingestellt, anders als das sich abzeichnende Ende des globalen Handels als Massengeschäft, die Zukunft von Deutschland als Industriestandort, die Verlagerung von Wertschöpfungsketten und aus geostrategischem Kalkül umgestellte Handelsrouten.

•   Deutschlandtakt 2030? Gerade hat ihn das Bundesverkehrsministerium kassiert und auf 2070 verschoben. Wer ahnt heute, wie sich das Mobilitätsverhalten im Personenverkehr in 50 Jahren in einer komplett anderen Lebens- und Arbeitswelt verändern wird?

•   Deutschlandtakt im Hamburger Hauptbahnhof? Die Planung der Neubaustrecke lässt deutlich erkennen, dass ein Taktbetrieb nach Hamburg, sei es von der DB oder von Hamburg selbst, weder vorgesehen noch auf absehbare Zeit möglich sein wird. In Kürze erfahren Sie in „Geschichte von der Trasse“ weitere interessante Hintergrundinformationen hierzu.

Dieses alles bestätigt unsere Kritik an dem Neubauvorhaben der DB: Wir nehmen nicht hin, dass auf fehlender Grundlage Orte zerschnitten, Lebensräume vernichtet und Umwelt und Natur zerstört werden soll! Wären die DB-Planungen mehr realitätsbezogen und weniger monströs, gäbe es Planungen für eine Neubaustrecke nicht, dafür aber längst realisierte zeitlich und technisch überschaubar optimierte Bestandsstrecken. Dazu sagt die BI Trassenalarm JA und stellt sich mit klarem NEIN gegen eine Neubaustrecke Hamburg-Hannover!

PS: Dank an das Redaktionsteam vom Hamburger Abendblatt für die ausgezeichneten Recherchen und Berichte zur Elbvertiefung und Neubaustrecke!